Zu Beginn des knapp zweistündigen Films ist Mulligan in einer Bar zu sehen, betrunken, scheinbar schutzbedürftig: Cassandra "Cassie" Thomas erregt so die Aufmerksamkeit von Männern, die zwar oft von ihren anzugtragenden Kumpels angestachelt werden, aber galant rüberkommen. Oft genug bringt einer von ihnen Cassie heim und versucht dann eben doch, sich über sie sexuell herzumachen. Zu spät erkennen die Männer ihr Problem: Die Frau hat die Betrunkenheit nur vorgespielt und ist auf Vergeltung aus.
Das Regiedebüt der erst 35-jährigen Emerald Fennell fragt danach, ob es wirklich stimmt, dass die allermeisten Männer "gute Jungs" seien und wo die Grenzen zwischen Gut und Böse überschritten werden. Sie hat auch das Drehbuch geschrieben und für den zum "Me Too"-Zeitgeist passenden Stoff einen Oscar gewonnen.
Trotz der oft knalligen Inszenierung gerät Fennells Film nicht plump und überspitzt, sondern immer ausgewogen, beispielsweise wenn zu sehen ist, wie verloren die Hauptfigur agiert - und dass es selbst, als ein mutmaßlich wohlmeinender College-Freund in Cassies Leben tritt, nicht immer klar ist, wessen Verhalten ab wann Grenzen überschreitet.
Gespielt wird dieser Ryan von Komiker Bo Burnham, der zuletzt mit einem Pandemie-Special auf Netflix sehr positive Kritiken bekam. Genau wie Mulligan ist er hier entgegen seinem sonstigen Image besetzt und auch das tut dem Film gut - wenn auch "Promising Young Woman" gerade zum Ende hin noch eine Prise mehr Mut gut vertragen hätte.
Promising Young Woman, USA/England 2020, 108 Min., FSK ab 16, von Emerald Fennell, mit Carey Mulligan, Bo Burnham, Jennifer Coolidge, Laverne Cox