Die glücklichen Arbeitslosen von Gramatneusiedl

Die glücklichen Arbeitslosen von Gramatneusiedl

Die ersten 40 Teilnehmer - der jüngste 18 Jahre alt, der älteste 61 Jahre - wurden nach ihren Qualifikationen, dem Können, ihren Interessen und wunden Punkten befragt. Personalberater von "itworks" halfen ihnen, herauszufinden, was sie selbst gern täten und was gleichzeitig der Allgemeinheit nützt. Das Soziologie-Institut der Universität Wien begleitet das Experiment mit Interviews und teilnehmender Beobachtung. Lukas Lehner und Maximilian Kasy, Ökonomen der Universität Oxford, erforschen den gesellschaftlichen Nutzen und seine Kosten, untersuchen, wie sich die Jobgarantie auf Gesundheit, Wohlbefinden und das Leben in Gramatneusiedl selbst auswirkt-im Vergleich zu Arbeitslosen in anderen Regionen.

Die glücklichen Arbeitslosen von Gramatneusiedl

Die Teilnahme an dem Projekt ist freiwillig, kann jederzeit ohne Sanktionen beendet werden. "Alles andere hätte den Geruch von Zwangsarbeit", sagt Lehner. Man rechnet mit 150 Teilnehmern aus Gramatneusiedl. Sven Hergovich, Landesgeschäftsführer des AMS-Niederösterreich und Erfinder des Projekts, erwartet sich eine faktenbasierte Empfehlung, was der Gesellschaft im Umgang mit Langzeitarbeitslosigkeit am besten diene. Die Jungen könne das AMS mit Qualifizierungsmaßnahmen in den Griff bekommen, die Langzeitarbeitslosigkeit bei den Älteren solle man nicht hinnehmen. Hergowichs Überzeugung: "Nichtstun macht krank und kostet mehr als geförderte Arbeit im gemeinnützigen Bereich."In einem Zimmer im ehemaligen Herrenhaus der Textilfabrik sitzen Joanna Diber, 43, und Radoslav Mirjanic, 52, einander an Nähmaschinen gegenüber. Schöne Stoffe im Retromuster liegen auf den Tischen, Knöpfe, Nähseide, Applikationen; Kräuterkissen, Kosmetiktäschchen. Die Nadel rattert über den Saum einer Kinderschürze. An der Wand hängen Laptop-Taschen. Hier arbeiten talentierte Amateure, die daheim hin und wieder etwas nähten oder ausbesserten. Er könne Hosen nähen, Torten backen, zimmern-eigentlich alles, sagt Mirjanic. Als Kind hatte er keine großen Ideen, was einmal aus ihm werden solle.Als junger Mann arbeitete er in seiner Heimatstadt Banja Luka, heute zur Republika Srspka gehörig, als Kellner, Rezeptionist, in einem Reisebüro, begann eine Ausbildung als Tourismusfachkraft.

Der Jugoslawienkrieg machte alles zunichte. Er wanderte aus, kam nach Österreich, verdiente sein Geld als angelernter Arbeiter in verschiedenen Fabriken, zuletzt in der Plexiglasherstellung der Para-Chemie. Seit vier Jahren ist er arbeitslos. Am liebsten wollte er überall mitarbeiten, sagt Mirjanic. Alles lernen, alle Chancen nützen. Hauptsache eine Arbeit, die bezahlt wird und nützlich ist. Die Jahre der Arbeitslosigkeit haben ihn mitgenommen; Bewerbungsschreiben, die nie oder absagend beantwortet wurden, vergebliche Anrufe, Selbstzweifel, Scham. Er spricht leise. Wenn er jetzt abends heimkommt zu seiner Frau, die arbeitet, und seinen Kindern, hat er etwas geleistet. Obwohl er von sich selbst noch immer als Arbeitsloser spricht.Sie hätten gern am Christkindlmarkt verkauft, doch den gab es nicht. Jetzt hoffen sie auf Ostern. Joanna Diber-die Kollegin an der Nähmaschine, erwägt, das Sortiment der schönen Dinge auf Schmuck zu erweitern. Sie macht sich gern Gedanken über Dekoration, als Arbeit sieht sie das noch nicht.Als junges Mädchen, das in der Nähe von Warschau aufwuchs, war sie interessiert an fremden Welten, fremden Sprachen, Reisebüro, der Hotelbranche. Das hat sie auch gelernt. Trotzdem gab es in Österreich für sie nur Arbeit als Zimmermädchen, Kellnerin, Reinigungskraft. Sie kämpfte sich durch Kurse, machte eine Ausbildung als Betriebslogistikerin, den Gabelstapler-Führerschein. Jetzt näht sie Kinderschürzen und denkt mit Grauen an die Tage des angeblichen Nichtstuns zu Hause zurück, die Isolation, den Verlust des Vertrauens zu sich selbst und zu anderen. Manchmal schaffte sie keine einzige Bewerbung in vielen Wochen. Ihr Leben schien auszurinnen. Den ganzen Tag zu sitzen, ist nicht ihre Sache. Organisieren, etwas anpacken, vom einem zum anderen laufen, wäre ihr lieber. Vielleicht wird es ja noch.