Er ist noch nicht fertig. Das hat er mehrfach gesagt. Deshalb trat Gregor Gysi, der sich schon häufig aus der Politik verabschiedet hatte, doch noch einmal in seinem Berliner Stammwahlkreis Treptow-Köpenick an und hat mit einem der drei Direktmandate der Linken den Einzug in den Bundestag gesichert.Kurz vor einer Sondersitzung zur Afghanistan-Krise sind wir im Bundestag verabredet. Ein gläserner Bau, mehr als 6000 Büros, endlos lange Gänge. Gegenüber die CDU-Fraktion. Hier ist eines der drei Arbeitszimmer von Gysi – neben seinem Wahlkreisbüro in Treptow und seiner Kanzlei in Charlottenburg. Hinter dem Schreibtisch steht eine Marx-Skulptur, im Regal die Biografie von Willy Brandt neben der von Walter Ulbricht, der Geburtsschein von Brecht neben der Bibel. Und Fotos mit Peter Maffay und Jan Böhmermann. An der Wand hängt ein großes Bild, auf dem der gelernte Rinderzüchter eine Baggerschaufel schweißt.Gysi kommt gut gelaunt, mit dunklem Anzug und blauem Poloshirt, macht der Sekretärin ein Kompliment zur neuen Frisur. Sie bringt ihm Tee, er nimmt die Maske ab, reicht zur Begrüßung die Hand. "Ich bin ja doppelt geimpft", erklärt der 73-Jährige. Für Angst fehle ihm ohnehin die Fantasie. In seiner Autobiografie "Ein Leben ist zu wenig" schreibt er: "Ich bin nicht fähig, über Risiken nachzudenken."Ein paar Seiten später erklärt er, dass er zu jedem Thema was sagen könne und erzählt von seinem Auftritt bei Günther Jauch: Als bei einer ARD-Talkrunde am Sonntagabend das Thema kurzfristig geändert werden musste, wurden alle Teilnehmer ausgewechselt. Außer Gysi. "Bei Gysi spielt es keine Rolle, er kann über alles reden", hatte Jauch damals erklärt. Nun also über die Modebranche. Klar, sagt Gysi. Er sei eben kein Spezialist, meint er später im Gespräch. "Der Spezialist versteht von seiner Sache so viel, dass er sie nie erklären kann." Er sei Generalist: "Ich verstehe von nichts was, kann aber alles erklären." Außerdem hätte sein Team gesagt, er solle auch mal über was anderes reden als immer nur über Politik.TextilWirtschaft: Wir bitten zum 75. Jubiläum der TW Branchenfremde um einen Blick von außen auf die Modebranche. Wie sieht der Ihre aus?Gregor Gysi: Ich finde Ihre Branche aus zwei Gründen sehr spannend: Die meisten Textilbetriebe, die es in der DDR gab, sind eingegangen, die Produktion wurde in die sogenannten Billiglohn-Länder verlagert. Dort gibt es häufig Kinderarbeit, und manche Textilien sind so billig, dass es auch gar nicht anders sein kann. Da appelliere ich auch immer an die Kunden – außer natürlich die Hartz IV-Empfänger – darauf zu verzichten. Damit man den Anreiz für diese Art der Herstellung abbaut.Dennoch hat sich Ihre Partei bei der Abstimmung zum kürzlich verabschiedeten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz enthalten.Ich finde den Grundgedanken einer Art von Haftung für die Zulieferer natürlich sehr gut. Aber man darf den Mittelstand auch nicht überfordern, die müssen das ja auch können. Der Ansatz ist richtig, aber die Details sind nicht klug geregelt. Sie sind einerseits nicht konsequent genug. Aber die Mittelständler können die Kette kaum bis nach Indien oder Bangladesch zurückverfolgen. Wenn ich auf Ihre Branche schaue, entstehen viele moralische Fragen.
Und was ist der zweite Grund, der Sie an der Branche reizt?Es gibt geniale männliche Designer, die viel mehr draufhaben, als wir Langweiler. Vor denen habe ich höchsten Respekt.