Der Sonntagsfahrer: Innovation durch Verbote!
„Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber", sagt Annalena Baerbock. Der Gedanke ist extrem ausbaufähig wie das Beispiel der Prohibition in Nordamerika zeigt.
„Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber", sprach unlängst Annalena Baerbock, wobei ich nicht weiß, ob dieser visionäre Gedanke ihr selbst kam, ob er nur geliehen oder gar geklaut ist. Darum soll es bei diesem kleinen gedanklichen Sonntagsausflug auch nicht gehen, sondern lediglich um die Frage, ob Annalenas Diktum, auch 1. Hauptsatz der Thermopädie genannt, zutrifft oder nicht. Zu Ende gedacht, lautet das Prinzip in etwa so: Je mehr Verbotsschilder eine Gesellschaft aufstellt, desto innovativer ist sie. Das ist nicht unbedingt falsch, allerdings nur, wenn man die Logik dahinter großzügig auslegt. In folgender Form würde ich Annalenas Diktum zustimmen: „Je mehr Verbotsschilder eine Gesellschaft aufstellt, desto innovativer ist sie bei der Erfindung von Umleitungen". Die Hierarchie der Verbote reicht ja vom nicht erlaubten Betreten des Rasens bis zum Denkverbot, wobei letzteres gleichsam die Formel 1 der Verbote ist, die Gedanken dürfen – frei nach dem großen Philosophen Niki Lauda – nur noch im Kreise hintereinander fahren wie beim Großen Preis von Pjöngjang.
Früher sagte man: Not macht erfinderisch. Inzwischen wurde auch dieses Motto weiterentwickelt. Nun heißt es: Notstand macht erfinderisch. So werden täglich neue innovative Begründungen für einen Corona-Notstand oder Klima-Notstand erfunden, den es nicht gibt. Der nicht vorhandene Notstand wird mit innovativen Grundrechts-Einschränkungen und Schikanen bekämpft, bis das lahmgelegte Land dann tatsächlich in den Notstand abgleitet. Siehe oben, im Kreise fahren. Das Perpetuum Mobile wird damit zum innovativen Herrschaftsmodell.
Bislang galt der Umfang der deutschen Steuerliteratur mit mehr als 100.000 Paragraphen als Weltrekord, die Coronaliteratur saugt sich aber im Windschatten heran und wird demnächst zum Überholen ansetzen, dicht gefolgt vom Klima-Schrifttum. Die Produktion immer neuer Verordnungen und Verbote gilt inzwischen als Leistungsbeweis der verwaltenden Klasse.
Die Anzahl der Dummen dürfte in Deutschland nicht größer sein als anderswo. Die Anzahl der Fleißigen wohl auch nicht. Problematisch scheint aber die Tatsache, dass sich offenbar eine große Zahl fleißiger Menschen in Regierungsämtern, Behörden und Verwaltungen massiert, wo sie fleißig dumme Dinge tun. Deshalb möchte ich folgenden innovativen Vorschlag machen: Da sich die Dummheit nicht beseitigen lässt, sollte wenigstens der Fleiß entsorgt werden, das tut nicht weh und befördert den Fortschritt ungemein.
Der Innovationstreiber Alkoholverbot
Kommen wir von den theoretischen Erwägungen nun zur praktischen Betrachtung. Für die historische Überprüfung von Annalenas Diktum bietet sich beispielsweise das Alkoholverbot an, in den USA auch „Prohibition“ genannt. Im Januar 1920 – passender Weise vor ziemlich genau 100 Jahren – trat der 18. Zusatzartikel zur Verfassung in Kraft. Er stellte die Herstellung, Verbreitung und den Konsum von Alkohol unter Strafe.
Der Innovationstreiber Alkoholverbot entfaltete sofort seine segensreiche Wirkung. Er machte den Staat arm und die Mafia reich. Das Alkoholverbot wirkte wie ein Konjunkturpaket für die organisierte Kriminalität, ähnlich wie das Ende der Atomkraft für die Windbarone. Junge Start-Up-Unternehmer wie Al Capone oder Meyer Lansky erkannten sofort ihre Chance und machten mit der illegalen Herstellung und dem Vertrieb von Alkohol ein Vermögen.
Auch die Automobilindustrie schaltete einen innovativen Gang hoch. Al Capones gepanzerten 16-Zylinder Cadillac beispielsweise zeichneten zahlreiche Innovationen aus, etwa eine herunterklappbare Heckscheibe, damit man mit den branchenüblichen und ebenfalls innovativen Thompson Maschinenpistolen („Tommy Guns“) die Einhaltung des Mindestabstandes durchsetzen konnte. Beim gemeinen Säufer waren hingegen Revolver-Immitationen beliebt, die als Schnapsflasche dienten. Die staatlichen Einnahmen fielen im Zuge der Innovationen trocken wie ein Quartalssäufer in der Ausnüchterungszelle.
Ich bin ein bisschen unschlüssig, ob ich diese Entwicklung nun gutheißen soll oder nicht, es kommt halt darauf an, von welcher Bande man lieber ausgenommen wird. Vom Standpunkt des Liebhabers extravaganter Automobile her muss allerdings festgehalten werden, dass in den Hohezeiten der Prohibition zahlreiche ingeniöse Marken wie Cadillac, Lincoln oder Packard erblühten wie die Sumpfgewächse im grünen Gartenteich. Auch die amerikanische Debattenkultur erhielt mit der Popularisierung von Maschinenpistolen einen enormen Schub und verkürzte die Entscheidungsprozesse.
81 Prozent mehr Fälle von Trunkenheit am Steuer
Weitere interessante Fortschritte durch das Verbot waren:
81 Prozent mehr Fälle von Trunkenheit am Steuer, vermutlich weil es keine Kneipe mehr um die Ecke gab und auch die Beschaffung von Spirituosen längere Wege erforderte.
13 Prozent mehr schwere Verbrechen, alleine in Chicago stieg die Zahl der Morde von rund 200 pro Jahr auf 600.
Das Ende des Biosprits, denn die Prohibition zerstörte die vielen Getreidebrennereien, die Landwirte zur Herstellung ihrer preiswerten Ethanolbrennstoffe benutzten.
Dies führte zu erhöhten Ausgaben auf Seiten der Landwirte und dem Umstieg auf ölbasierte Brennstoffe wie Benzin oder Diesel
Etwa 10.000 Todesfälle durch unreinen oder vergifteten Alkohol
Die Prohibition war ein politischer Erfolg der sogenannten „Enthaltungsbewegung“ oder auch Abstinenzbewegung. Politisch und praktisch aktiv wurde die Abstinenzbewegung mithilfe sogenannter Abstinenzvereine, die für ein drogenfreies Leben eintraten. 100 Jahre später heißen die Enthaltsamkeitsvereine Die Grünen, Extinction Rebellion oder Fridays for Future, ansonsten bleibt alles beim Alten. Die Menschheit muss endgültig und „unumkehrbar“ von Drogen wie dem Auto, dem Fleischkonsum oder der Ölzentralheizung befreit werden.
Ich habe mich bei Wikipedia in das Thema vertieft und fahre plötzlich mit ganz anderen Augen durch die Landschaft. Vor dem Testzentrum schimmert unter dem woken Rasen das 19. Jahrhundert hervor und betätigt zur Begrüßung die Lichthupe. In Sachen Verbotskultur winken dem aufmerksamen Zeitgenossen die Analogien zu wie die Bananen am Lendenschurz von Josephine Baker. Die Enthaltsamkeitsbewegung sieht im totalen Verzicht stets auch eine sozialreformerische Maßnahme. Damals war Alkoholkonsum ein Zeichen mangelnder Tugendhaftigkeit und der Schnaps galt als Ursache des Elends der unteren Klassen.
„Ich wusste gar nicht mehr, wie man legal trinkt"
Man fuhr im Konvoi mit der sogenannten Sittlichkeitsbewegung, die die Menschheit moralisch auf die Höhen des Mount Everest führen sollte, ohne zu bedenken, dass man da oben schlecht übernachten kann. Dazu gehörte ein hohes Sendungsbewusstsein gegenüber den Sherpas, damals der Arbeiter- und Bauernschaft. Auch die sogenannte Sozialhygiene befand sich im Schlepptau, die aktuell wieder im Traum vom Impfzwang aus dem Nebel steigt. An die Stelle der Arbeiter- und Bauernklasse ist ja inzwischen das Klima getreten, das den sozialhygienischen Vorteil bietet, nicht zu widersprechen und auch nicht heimlich von einer Mercedes A-Klasse zu träumen. Die Klimaneutralität ist der Achttausender der Moral und Sittlichkeit, Erstbesteigung selbstverständlich durch deutsche Vorreiter, aber es kann verdammt kalt werden da oben, ich habe euch gewarnt.
Der Bielefelder Historiker Thomas Welskopp hat die Entwicklung der Vereinigten Staaten in den 1920er Jahren erzählt. Sein Buch „Amerikas große Ernüchterung“ schildert, wie eine gut gemeinte Verbotsidee die Karre innovativ in den Graben fuhr. Sollte die historische Analogie belastbar sein, dann kommt die Ernüchterung hierzulande also im Jahre 2033. Annalena Baerbock ist dann 55 Jahre alt, Luisa Neubauer 37 und Greta Thunberg 30, ein Alter mithin, in dem man den Kater noch geniessen kann.
Zum Troste: Bis dahin geht das Leben garantiert weiter. Der Weltuntergang wird vorüber gezogen sein wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Halleysche Komet. Als der im Mai 1910 erschien, geriet die Welt auch ohne Einschlag aus den Fugen. Die Medien schürten Massenpanik, die Wissenschaft Verwirrung. Postkarten zeugen von den Phantasien jener Zeit – zwischen Untergangsängsten und Ausschweifungen.
Ich plädiere sehr für Letztere. Am Tag, als die Prohibition in den USA beendet wurde und die Flagelanntinen in der Versenkung verschwanden, es war der 5. Dezember 1933, hatte mancher Zeitgenosse ungewohnte Entzugserscheinungen. „Ich wusste gar nicht mehr, wie man legal trinkt", sinnierte der Komponist Alec Wilder, „und eigentlich hatte ich mich an den Gedanken gewöhnt, anrüchig zu sein."
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