Den Internetkonzern Alibaba kennen hierzulande nur wenige Menschen. In seiner Heimat China ist das Unternehmen allerdings ein Gigant - und steht in New York vor dem größten Börsengang aller Zeiten.
Lastwagen röhren schwer bepackt durch die Straßen. Kartons und Kisten stapeln sich auf Bürgersteigen, in Garagen und Treppenhäusern. In dem einst verschlafenen Dorf Qingyanliu in der ostchinesischen Provinz Zhejiang sorgte jahrelang das Brettspiel Mahjong für die größte Aufregung. Seit E-Commerce in China explodiert ist, geht es hier zu wie in einem Containerhafen. Die Gemeinde ist Umschlagplatz für tonnenweise Alltagswaren von Gartenstühlen bis Heizdecken. Verkauft wird online über Taobao, die populäre Internetplattform des IT-Konzerns Alibaba. Knapp 12.000 Dorfbewohner betreiben bei Taobao 2000 Shops. Jahresumsatz: zwei Milliarden Yuan, rund 250 Millionen Euro.
Wirtschaft 19.09.14 01:46 min
Chinesen können nicht ohne Taobao Ganze Dörfer leben vom Alibaba-Boom
Qingyanliu zählt zu Chinas sogenannten Taobao-Dörfern. Es gibt mehrere davon. Dies hier ist das erste. Die Region im Speckgürtel der Millionenstadt Yiwu ist eines der Manufakturzentren des Landes. Die Bewohner kaufen direkt von den Herstellern der Umgebung und bieten die Produkte online zum Verkauf an. Bei Taobao kann jeder anbieten oder versteigern, was er will. Wie bei Ebay. In großen oder kleinen Mengen, neu oder gebraucht.
Li Liewen und seine Frau haben vor zwei Jahren ihre Jobs als Grafikdesigner in Peking gekündigt und entschieden sich für ein Leben wie im Lagerraum. Die Wohnung des Paares in Qingyanliu ist zugepackt mit Kartons und Regalen, an denen man sich vorbei zwängen muss, um von einem Raum in den anderen zu gelangen. Die einzige freie Fläche im Schlafzimmer ist das Bett. Li kämpft sich durch und nimmt auf der Matratze Platz. "Es war eine wohl überlegte Entscheidung von uns, hierher zu ziehen. Wir haben leichten Zugang zu den Waren. Und die Logistik funktioniert gut und ist günstig, weil alle mitmachen. Für den Einstieg in diese Branche ist dies genau der richtige Ort", sagt Li.
10.000 Zugezogene leben hier. Mehr geht zurzeit nicht. Wer nicht online verkauft, produziert eben Kartons, die zum Versand nötig sind. "Der Internetverkauf hat Arbeitsplätze geschaffen. Viele Neulinge sind zu erfolgreichen Unternehmern geworden", sagt Liu Wengao vom Verband der örtlichen Onlinehändler.
Einige von ihnen haben sogar eine anerkannte Ausbildung im Taobao-Business. Die Wirtschaftsschule in Yiwu bietet ein dreijähriges Programm für ambitionierte E-Commerce-Händler an. Wer den Abschluss schafft, wird zertifizierter Taobao-Anbieter. Den Erfolg garantiert das noch nicht. Aber es ist ein Vertrauenssiegel, das Kunden locken soll.
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Die Ausbildung ist praxisorientiert. Die Studenten sind schon bei Taobao als Händler registriert. "Wir bieten ihnen Lösungen für ihre täglichen Probleme", sagt der Erfinder des Programms, Jia Shaohua. Zu den Lehrinhalten zählen das Design des eigenen Onlineshops und die Präsentation der Ware. Auch die Auswahl von Schlüsselwörtern, um von Suchmaschinen weiter am Anfang ausgespuckt zu werden.
Referent Jia trieb die Entwicklung des Dorfes zu einem Taobao-Standort maßgeblich voran, indem er den Bewohnern ihre Möglichkeiten mit dem digitalen Vertrieb aufzeigte. 1200 Bewerber gibt es pro Jahr für das Programm, 120 werden angenommen. Alibaba finanziert Teile der Ausbildung, um Kunden der Zukunft zu formen und das Geschäftsmodell noch populärer zu machen. Das Unternehmen versorgt die Schule mit Technologie und hilft bei der Weiterbildung der Lehrer. Für die Schule ein Glücksfall: "Wir sind Alibaba sehr dankbar und pflegen einen engen Austausch", sagt Jia.
New York erwartet Alibaba
Der Begriff Taobao-Dorf ist ein Symbol für das Potenzial des elektronischen Handels in China und für die Fußstapfen, die Jack Ma, 49, in seiner Heimat hinterlassen hat. Der ehemalige Englischlehrer startete 1999 einen digitalen Treffpunkt, um chinesische Produzenten mit ausländischen Unternehmern in Kontakt zu bringen: Alibaba. 15 Jahre später hat die Plattform viele Geschwister wie Taobao, Tmall oder Aliexpress. Jedes Familienmitglied übernimmt eine spezielle Aufgabe, um die Bedürfnisse von Privatleuten, Herstellern, Großhändlern oder Einzelhändlern in China und außerhalb abzudecken. Zusammen bilden sie die größte digitale Handelsplattform der Welt. Der Gesamtwert aller Transaktionen betrug im vergangenen Jahr 270 Milliarden Dollar.
Das Start-up von einst geht in Kürze als Koloss an die Börse. Gründer Ma will unbedingt die Kontrolle bewahren über die Geschicke seines Babys. Er begriff früh, dass die Idee für ein chinesisches Ebay nur erfolgreich sein konnte, wenn er lokale Befindlichkeiten berücksichtigen würde. Als er 2003 Taobao aus der Taufe hob, verzichtete er auf Gebühren für die Verkäufer. Es war ein Minusgeschäft, aber die Kunden schwenkten vom US-Vorbild hinüber zum chinesischen Neuling.
Jeder kleine Möchtegern-Unternehmer besaß fortan die Möglichkeit, seine Produkte ohne finanzielles Risiko Millionen Kunden anzubieten. Familien schickten im Ausland weilende Verwandte auf Einkaufstour und verkauften die Importprodukte in kleinen Mengen, aber mit sattem Aufpreis an chinesische Interessenten weiter. Bauern begannen, ohne Umwege über Großhändler die lokalen Haushalte mit frischen Eiern zu versorgen. Wieder andere boten ihre Handarbeiten gegen kleines Geld im ganzen Land an. Ebays Marktmonopol brach binnen kurzer Zeit zusammen.
Mit dem Bezahlsystem Alipay sicherte Ma dem Konzern das Vertrauen der Nutzer im betrugsanfälligen chinesischen Onlinehandel. Das verschaffte Alibaba auch die Option, als Finanzdienstleister den staatlichen Banken Konkurrenz zu machen und ein neues lukratives Geschäftsfeld zu erschließen. Denn wer bei Alipay Geld einzahlt, kann es jetzt gleich zum Investmentportal Yuebao weiterleiten, um Renditen zu kassieren. 100 Millionen Chinesen nutzen das Angebot, das mehr Rendite verspricht als jedes Bankkonto im Land. 160 Milliarden Dollar haben sie binnen einem Jahr angelegt. Alibaba spekuliert darauf, dass Teile der Renditen im Onlineshopping reinvestiert werden.
Damit zog Ma zwar den Ärger der Banken auf sich. Drohendem Ärger durch die Regierung wich er aber aus, indem er Alipay frühzeitig aus der Alibaba Gruppe herausriss. Das schockte die ahnungslosen ausländischen Teilhaber wie den US-Internetkonzern Yahoo, der lautstark protestierte. Ma zahlte eine Abfindung, hatte die Ausländer aber ein für alle Mal vom Hals bei seinen Expansionsplänen im Finanzsektor. Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg. Denn Peking riegelt den Finanzmarkt für Ausländer weitgehend ab. "Die schwierigste Entscheidung seines Lebens", behauptet er heute. Er hat sie nicht bereut.